Die Geschichte der nationalen Hundekurspflicht „Sachkundenachweis“ (SKN) in der Schweiz

Einführung und Abschaffung des SKN

Das Nationale Hundehalter-Brevet (kurz NHB) ist ein schweizweit einheitlich umgesetztes Ausbildungs- und Prüfungskonzept für Hunde und Hundehalter, das vom Verband Kynologie Ausbildungen Schweiz (VKAS) und seinen Mitgliedsorganisationen initiert wurde. Um das NHB zu verstehen, muss man seine Geschichte kennen – und damit die Geschichte der ehemals obligatorischen Hundekurse in der Schweiz.

In der Schweiz wurde der sogenannte «Sachkundenachweis» (kurz SKN) und damit eine national gültige Hundekurspflicht für alle Hundehalter im Jahr 2008 aufgrund des tragischen Todesfalls eines Kindes bzw. des durch diesen Vorfall ausgelösten, enormen medialen und darauf folgend öffentlichen Drucks auf die Politik eingeführt. Der Sachkundenachweis bestand aus Theorie- und Praxislektionen für alle Hundehalter – also auch für solche, die sich einen zweiten, dritten oder achtzehnten Hund angeschafft haben.

Innerhalb kurzer Zeit wurden durch verschiedene kynologische Ausbildungsorganisationen wie die SKG, Certodog, NF footstep, Triple-S oder die SC-Akademie über 3’000 Personen zu sogenannten SKN-Instruktoren ausgebildet – Personen also, die dazu berechtigt waren, Hundehaltern die besagten SKN-Kurse anzubieten. Wichtig zu wissen ist in diesem Zusammenhang, dass ca. 75% dieser 3’000 ausgebildeten Personen vor ihrer Zertifizierung als SKN-Instruktoren nicht als Hundetrainer tätig waren.

Weil die Einführung des Sachkundenachweises und Ausbildung der SKN-Insruktoren ein politischer „Schnellschuss“ waren – dies kann und darf man aus heutiger Sicht getrost behaupten – wurden von verschiedenen Seiten, insbesondere aber den betroffenen Hundehaltern, die diese SKN-Kurse absolvieren mussten, gravierende Problematiken moniert und festgestellt.

https://www.srf.ch/play/tv/kassensturz/video/neue-hundekurse-was-bringt-das-obligatorium?urn=urn:srf:video:0632aa56-89e5-4a2a-abe4-6b340af6b5b3

Diese Probleme wurden um das Jahr 2015 herum auch von Medien aufgegriffen, wie folgende Zitate aus dem NZZ-Artikel „Von Hundehaltern und Amtsschimmeln“ zeigt:

Auf einem Hundeplatz irgendwo am Stadtrand von Zürich stehen fünf bis sechs Leute mit ihren angeleinten Welpen und warten. Sie warten, bis die letzten Verspäteten noch kommen, bis die Hundetrainerin ihre Verkaufsauslagen mit allerlei Hundeartikeln aufgebaut oder irgendwelchen Papierkram erledigt hat. (…) Viele Kursabsolventen reklamieren, dass die Kurse zu reinen Verkaufsplattformen verkommen.

Artikel „Von Hunden und Amtsschimmeln“, Claudia Wirz, NZZ, 30.3.2015

Im Sinne der Vollständigkeit möchten wir an dieser Stelle auch kurz auf die Gerüchteküche eingehen, die im Rahmen der besagten medialen, politischen und öffentlichen Diskussionen um die SKN-Kurse in der Schweiz natürlich lebhaft brodelte. So liess sich mehr als nur einmal vernehmen, dass der Stein des Anstosses für die politische Diskussion und insbesondere der Vorstoss für die Abschaffung von SKN-Kursen ein negatives Erlebnis der Gattin eines Politikers gewesen sein soll, die einem „schwarzen Schaf“ unter den SKN-Instruktoren zum Opfer gefallen war. Anderslautende Gerüchte sahen die Ursache der Abschaffungs-Dynamik darin begründet, dass Tierärzte durch die Einführung der SKN-Kurse ihre Bedeutung als Verkaufskanal und insbesondere Futtermittelhersteller damit einen wichtigen und (in)direkten Draht zu Hundehaltern verloren hatten – weil nun plötzlich Tausende von SKN-Instruktoren existierten, die ihre eigenen Futtermittel verkauften oder diejenigen von kleineren Herstellern beworben haben.

Unabhängig davon, aus welcher Richtung die Kritik am SKN-Kurssystem nun tatsächlich stammte, sah sich die Politik wegen des wachsenden medialen Drucks aufgrund kritischer Artikel, Meinungen und Berichten zu den Sachkundenachweisen bzw. zu deren Umsetzung seitens der zertifizierten SKN-Instruktoren in den Jahren 2015/2016 gezwungen, zu handeln. In einem ersten Schritt wurde durch das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) eine Evaluation der Sachkundenachweise in Auftrag gegeben, zu der im März 2016 ein Schlussbericht veröffentlicht wurde:

Kritisch zu bemerken ist, dass (…) «hard facts» (insb. deutliche Abnahme Vorfälle, deutliche Verhaltensunterschiede zwischen Personen mit/ohne Kursbesuch) fehlen, welche dem Obligatorium eine klar objektive Wirkung attestieren könnten.

„Evaluation der Sachkundenachweise SKN“, Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV), 2016

Medien und Politik griffen im Anschluss an die besagte Veröffentlichung des Evaluationsberichtes die genannten Erkenntnisse und Argumente auf, was zu zunehmender öffentlicher Kritik am SKN-Ausbildungskonzept führte.

https://www.srf.ch/news/schweiz/der-beisst-nicht-wie-sinnvoll-sind-kurse-fuer-hundehalter

Die häufigsten genannten Kritikpunkte am SKN-Ausbildungskonzept waren dabei:

  • In erster Linie wurde die Wirkung der Kurse in Frage gestellt, weil weiterhin und trotz der Kurse Beissunfälle stattfanden und weil die in der Evaluation befragten Hundehalter im Sinne einer Selbstevaluation angaben, dass die besuchten Kurse keine oder nur eine geringe Wirkung gezeigt hätten
  • Die mangelnde Qualitätskontrolle der durchgeführten Kurse, insbesondere im Hinblick auf die didaktische und kynologische Qualität der SKN-Instruktoren
  • Nicht alle Hundehalter wissen über das Kursobligatorium bescheid bzw. haben die obligatorischen Kurse nicht besucht, obwohl sie müssten
  • Die Kurspflicht besteht auch für Hundehalter, die sich einen zweiten, dritten, vierten… oder noch mehr Hunde anschaffen
  • Die Kurse seien von manchen Hundetrainern bzw. SKN-Instruktoren als Verkaufsplattformen für Hundeartikel oder -futter missbraucht worden

Die politische und mediale Diskussionen um die SKN-Kurse und ihre mögliche Abschaffung in der Schweiz sind ein perfektes Beispiel für die häufig festzustellende Diskrepanz zwischen objektiv nachvollzieh- und messbaren Fakten und dem, worauf sich Politik und Medien einschiessen. Das in der obigen Auflistung zuletzt genannte Argument der SKN-Gegner, wonach SKN-Kurse von SKN-Instruktoren oft zum Verkauf von Hundeartikeln, Hundefutter, Hundeversicherungen o.ä. missbraucht wurden, griffen sowohl Medien in reisserischen Überschriften, als auch Politiker in ihren Reden liebend gerne auf – vermutlich weil es für Leser oder Zuhöher besonders einfach greifbar ist und auch (gewollte) emotionale Reaktionen hervorruft. So wurde versucht, das Bild zu vermitteln, dass diese „kynologischen Kaffeefahrten“ eine integrale Problematik der SKN-Kurse darstelle.

Der zuvor erwähnte Evaluationsbericht des BLV kam jedoch zum Schluss, dass diese Problematik nur gerade für 16% der befragten Hundehalter und Kursbesucher tatsächlich ein Problem darstellte:

An den obligatorischen Kursen wurden gemäss drei Viertel der Hundehalter/innen keine Hundeartikel verkauft. 16% der Befragten geben an, dass Hundeartikel verkauft wurden.

„Evaluation der Sachkundenachweise SKN“, Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen fg(BLV), 2016

Aus heutiger Sicht ebenso unverständlich ist, dass sich gewählte Politker doch tatsächlich vor das Schweizerische Parlement, Medien und die Öffentlichkeit stellten und allen Ernstes als Argument für die Abschaffung der SKN-Kurse vorbrachten, dass 20% der befragten Hundehalter die Kurse nicht besuchen würden, obwohl sie es eigentlich müssten. Wenn wir dieser Argumentation folgen würden, dann könnten wir auch den Autoführerschein abschaffen, nur weil ein paar Wenige ohne einen Führerschein autofahren…

Nach wie vor besteht eine Quote von 20% von Hundehalter/innen, welche ihrer Pflicht nicht nachkommen.

„Evaluation der Sachkundenachweise SKN“, Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV), 2016

Was aus unserer Sicht in der gesamten medialen und politischen Diskussion ebenfalls viel zu kurz kam und ebenfalls hätte kritischer betrachtet werden müssen, ist die genannte Evaluation selbst. Wir haben dahingehend nicht den geringsten Zweifel daran, dass diese Evaluation den üblichen Gütekriterien einer wissenschaftlichen Studie genügte. Was jedoch unseres Erachtens kritisch hinterfragt hätte werden müssen, sind die grundsätzlichen Voraussetzungen der Studie. Im Rahmen der besagten Evaluation wurden nämlich 21 kantonale Veterinärdienste, 1’344 Hundehalter, 1’086 Hundetrainer sowie 1’215 zufällig ausgewählte Personen aus der Bevölkerung befragt. Mit anderen Worten flossen also die Antworten von nur 1’344 Hundehaltern in die Evaluation des BLV ein.

Niemand hinterfragte vor diesem Hintergrund, wie sich die Polulation dieser 1’344 Hundehalter zusammensetzte und ob diese befragten Hundehalter tatsächlich auch die gesamte Population von Hunderhaltern in der Schweiz repräsentierten. Den 1’344 befragten Hundehaltern standen nämlich im Jahr 2016 ca. 520’000 registrierte Hunde in der Schweiz gegenüber. Auf Basis der Annahme, dass jeder registrierte Hund auch einem Hundehalter entspricht, wurden also für die Evaluation des BLV gerade einmal 0.3% aller Hundehalter in der Schweiz befragt. Wie repräsentativ kann eine solche Evaluation also überhaupt sein?

https://www.vhn.ch/statistiken/heimtiere-schweiz/

Nach hitzigen politischen Debatten wurde das SKN-Kursobligatorium für Neuhundebesitzer nach über 10 Jahren auf den 1.1.2017 vom Schweizer Parlament wieder abgeschafft. Seit dem Jahr 2017 muss also in der Schweiz auf nationaler Ebene kein (Neu)hundebesitzer mehr einen obligatorischen Hundekurs besuchen. Jedoch traten in manchen Schweizer Kantonen an die Stelle der national verpflichtenden Kurse jeweils geltende kantonale Kursobligatorien (wenn auch meist nur für bestimmte Hunderassen), wie z.B. in den Kantonen Zürich, Aargau, Thurgau, Tessin, Genf, Waadt, Glarus, Basel Stadt und Basel Land.

Mit dem Entscheid zur Abschaffung des nationalen SKN-Kursobligatoriums für Hundehalter verloren auch alle bisher zertifizierten SKN-Instruktoren ihren zuvor erworbenen Status und die für diese Zertifizierung zuständigen Ausbildungsorganisationen die Bewilligung bzw. Erlaubnis, weiterhin SKN-Instruktoren auszubilden. Dieser Umstand wurde von den Verantwortlichen dieser kynologischen Ausbildungsstätten frühzeitig erkannt und deshalb noch vor dem Entscheid des Schweizerischen Parlamentes der Interessenbund Verband Kynologie Ausbildungen Schweiz (VKAS) gegründet.

Als trotz des Versuchs der tragenden Mitglieder dieses Verbandes, die Abschaffung der SKN-Kurspflicht zu verhindern, klar wurde, dass die Kurspflicht fallen würde, setzten sich die Mitgliederorganisationen zusammen und entwarfen gemeinsam sowie in Absprache mit relevanten Anspruchsgruppen wie z.B. dem Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV), dem Schweizer Tierschutzt STS, der Gesellschaft Schweizer Tierärztinnen und Tierärzte (GST SVS), der Vereinigung Schweizer Kantonstieräztinnen und Kantonstierärzte (VSKT) oder der Schweizerischen Vereinigung für Kleintiermedizin (SVK) ein neues Ausbildungs- und Prüfungskonzept, das auf freiwilliger Basis an die Stelle der SKN-Kurse treten sollte.

Dieses neue Ausbildungskonzept wurde schliesslich „Nationales Hundehalter-Brevet“ (kurz NHB) genannt und am 1. Januar 2018 im Rahmen einer Medienkampagne lanciert.

Ziel des neu geschaffenen NHB-Ausbildungskonzeptes war und ist es, einerseits den ehemaligen SKN-Instruktoren sowie auch neu ausgebildeten Hundetrainern ein national einheitlich umgesetztes Hundehalterausbildungs- und vor allem Prüfungskonzept an die Hand zu geben. Andererseits bietet das NHB allen Hundehaltern in der Schweiz die Möglichkeit, Hundekurse auf freiwilliger Basis bei ausgebildeten und zertifizierten NHB-Fachpersonen zu besuchen und mit einer natonal einheitlich umgesetzten und durchgeführten Theorie- und/oder Praxis-Prüfung abzuschliessen. Wird eine NHB-Praxisprüfung von einem Hundehalter erfolgreich bestanden, erhält er von der für die Prüfung zuständigen NHB-Fachperson NHB-Brevetausweis, dessen Vorderseite schweizweit einheitlich gestaltet ist:

Das NHB basiert aktuell auf der freiwilligen Teilnahme von Hundehaltern an NHB-Kursen und Prüfungen. National existiert in der Schweiz seit der Abschaffung des SKN im Jahr 2017 keine Hundekurspflicht mehr. Nur in wenigen Ausnahmen schreiben kantonale Veterinärämter den Besuch eines NHB-Kurses bzw. vor allem den erfolgreichen Abschluss einer NHB-Praxisprüfung bei zertifizierten NHB-Fachpersonen für bestimmte Hundehalter und/oder Hunderassen vor. Im Kanton Wallis existiert z.B. eine kantonale Hundekurspflicht, die mit dem Besuch eines NHB-Kurses als erfüllt gilt. Nach der aktuellen Praxis im Kanton Baselland (Stand: 2022) müssen Halter von Listenhunden, die im Erwachsenenalter in den Kanton ziehen (und deshalb den Besuch der obligatorischen Welpen- und Hundekurse verpasst haben) oder aus Nicht-FCI-Zuchten stammen und eine erste Wesensüberprüfung nicht bestanden haben, innerhalb einer bestimmten Frist eine NHB-Prüfung bestehen.

Der von 2008 bis 2017 national einheitlichen (SKN-)Hundekurspflicht in der Schweiz ist also erneut einem kantonalem „Flickenteppich“ mit unterschiedlichen kantonalen Hundegesetzen und Verordnungen gewichen. Manche Kantone sehen dabei verpflichtende Hundekurse vor, andere nicht. Manche kennen eine Rasseliste oder Liste „potentiell gefährlicher Hunde“, andere nicht. Eine Übersicht über diese kantonal verschiedenen gesetzlichen Voraussetzungen ist auf hundegesetze.ch zu finden.

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